BIGZ – Belgrads Mine

Serbiens ehemalige Staatsdruckerei

Die ehemalige Staatsdruckerei Serbiens lag 2018 als Rohdiamant im aufstrebenden Belgrad. In Kollaboration von Studio Libeskind, SORAVIA und CMb.industries wurde Lobbying- und Entwicklungsarbeit geleistet, um dieser Urbanen Mine zu neuem Leben zu verhelfen.

Serbien ist die Heimat von 7,1 Millionen Menschen. Eine Zahl, die etwa 1,4% der Bevölkerung der EU oder 0,0007% der Weltbevölkerung entspricht. Davon leben ca. 1.647.490 EinwohnerInnen im Ballungsraum der Hauptstadt Belgrad. Serbien, eine Region von großer kulturhistorischer Bedeutung und landschaftlicher Schönheit, umfasst ein Gebiet von 88.361 km², das ungefähr 0,05 % der Erdoberfläche ausmacht. Davon entfallen 359,96 km² auf die „weiße Stadt“ und 43.465 m² auf das sogenannte BIGZ Gebäude, in dem einst die Staatsdruckerei des ehemaligen Jugoslawien untergebracht war.

Wie eine riesige Zeitungsdruckmaschine ragt das 1938 im Sinne des Funktionalismus gefertigte Baujuwel elf Stockwerke in den Belgrader Himmel und bohrt sich zwei Stockwerke tief in urbanen Boden. Obwohl das Haus seit 1940 auch durch andere Disziplinen geprägt wurde, hat die „Schwarze Kunst“ dem Gebäudekomplex ihren Stempel aufgedrückt: Der Druckerballen zum Einfärben des Druckstockes wurde so zum Logo und Wahrzeichen des BIGZ.

Zwischenraum und ZwischenzeitDas BIGZ als Missing Link

Situiert im Herzen der Stadt, an einem stark frequentierten Boulevard, in unmittelbarer Nähe zur Stadtautobahn, nur einen Kilometer vom Hauptbahnhof und lediglich zwölf Kilometer vom Nikola Tesla Flughafen entfernt, befindet sich das BIGZ zwischen zwei Brücken, die jeweils das alte und neue Belgrad verbinden. Errichtet zwischen den beiden Weltkriegen in einer Stadt, die zwischen Mittel- bzw. Südosteuropa und dem vorderen Orient liegt, verkörpert das BIGZ nicht nur geografisch, sondern auch im Erscheinungsbild ein Symbol für die auffälligen Dualitäten Belgrads.

“Belgrad ist die hässlichste Stadt der Welt am schönsten Ort der Welt”, schrieb einst Le Corbusier über die heutige Hauptstadt Serbiens, deren altertümlicher Name Weißenburg war.

Auf verschiedenen Ebenen birgt das BIGZ somit ein großes Potenzial für die Verknüpfung von Belgrads Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Aufschwung durch WandelDas BIGZ als Gebäude

„So wie Du bist, so sind auch Deine Gebäude.“

Louis Henri Sullivan

Für Louis Henri Sullivan, der heute als einer der ersten großen Hochhausarchitekten und als Vorreiter der form-follows-funktion-Bewegung gehandelt wird, waren der Mensch und die Architektur untrennbar miteinander verbunden. Ein Leitsatz, der für das BIGZ Gebäude nicht nur aus architekturgeschichtlichen Gründen von umfassender Bedeutung ist, sondern auch für die Neuausrichtung dieser berühmten Landmark Belgrads. Entworfen und gebaut von Dragiša Brašovan, einem führenden serbischen Vertreter der Modernen Architektur, gilt das BIGZ heute als klassisches Beispiel für den Stil des Funktionalismus.

Während das Gebäude als erster Stahlbetonskelettbau Belgrads unter Denkmalschutz konserviert werden konnte, so ist dies für den Geist der Erneuerung nicht möglich. Die einstige Innovationskraft dieser architektonischen Manifestation serbischen Fortschrittsglaubens kann nur durch inhaltliche Neupositionierung wiederbelebt werden und dadurch ihre frühere Berechtigung zurückerlangen. Beschränkt man die Bedeutung dieses Begriffs Funktionalismus nicht nur auf die Baukunst, sondern berücksichtigt auch die philosophischen Ansätze dieser Strömung, so ergeben sich klare inhaltliche Prämissen für das Revitalisierungskonzept des Gebäudes: Die funktionalistische Denkschule betrachtet Sachverhalte nie isoliert, sondern befasst sich immer auch mit ihren vielfältigen Wechselbeziehungen und Bezügen zur Umwelt.

Übergang nicht UntergangDas BIGZ als Wiege der Protomoderne

Nicht die Schaffung einer Monokultur, wie etwa in Gestalt der früheren Verwendung des Gebäudes als Hauptsitz der ehemaligen jugoslawischen Staatsdruckerei, sondern eine spartenübergreifende Ausrichtung bildet demnach das Fundament für eine erfolgreiche Neugestaltung des BIGZ. Ist eine interdisziplinäre Nutzung doch nicht nur ein Garant für Risikominimierung, sondern bereits in der Architektur selbst festgeschrieben, die mit ihren offenen, weitläufigen und leicht adaptierbaren Hallen eine Fülle von Handlungsspielräumen eröffnet, um flexibel auf neue gesellschaftliche Anforderungen reagieren zu können und dem Wandel der Zeit gewachsen zu sein. Eine ideale Entsprechung findet die gegebene Raumstruktur in der Inhomogenität der Kultur- und Kreativwirtschaftsbranche, die momentan insgesamt elf verschiedene Teilmärkte umfasst und demnach eine wichtige Rolle für die Neunutzung des Gebäudes spielen kann.

Freiheit durch RaumDas BIGZ als Ermöglichungsraum

Gemäß der genetisch angelegten Brückenfunktion Beograds spannen die kulturellen und kreativen Industrien den Bogen zu einer Welt, die nach wie vor fundamentale Umbrüche erlebt und doch langsam aus der Schockstarre zu erwachen beginnt. Neue Konzepte sind gefordert, werden gefördert und erprobt. Alle Milieus, Bereiche und Sparten scheinen davon betroffen – auch das Bauwesen und das Immobiliengewerbe. Doch Innovationskraft bedingt urbane Ermöglichungsräume, Inkubatoren für die neuesten Trends, Keimzellen für gesellschaftsverändernde Ideen, die heute den Grundstein für ökonomischen Erfolg legen, Kollisionsorte für Kollaborationen und Produktionsräume, in denen die Entwicklungsstufen einer neuen Moderne erarbeitet werden. Eine Aufgabe, für die das BIGZ perfekte Bedingungen bietet: Als kreativer Hotspot im urbanen Alltag, als relevanter Akteur für die Politik und Wirtschaft, als Missing Link für die positive Entwicklung von Belgrad.

KreativwirtschaftDas BIGZ als KraftWerkStadt

„Break the rules, not the law“: Kreative Berufe müssen immer wieder Grenzen überschreiten, um Entwicklungen vorwärtszutreiben. Vorauseilender Gehorsam, kontrolliert von einer geistigen Grenzpatrouille, bedeutet Mittelmaß innerhalb der und durch diese geschlossenen Systeme. Hingegen sind offene, autopoietische Systeme und Versuchsfelder Freiräume. Freiräume, die Freiheit durch Raum und nicht Freiheit von Raum bedeuten. Freiraum schafft Kreativität, Kreativität schafft universelle Innovationen. Innovationen schaffen Jobs, Werte und Wohlstand, bremsen den Braindrain einer Stadt.

Belgrad ist das politische Zentrum Serbiens. Nach der Volkszählung des Jahres 2011 zählte die Stadt 1,6 Millionen Einwohner. Die Stadtbevölkerung wächst, aber nur wegen der Zuwanderung, sprich vor allem wegen der Binnenwanderung in Serbien. Während viele Dörfer und kleinere Gemeinden sterben, wanderten zwischen 2006 und 2011 85.000 Personen zu. Das Durchschnittsalter liegt bei 41 Jahren und Belgrad und Serbien zählen zu den Ländern mit der ältesten Bevölkerung weltweit. Serbien verliert pro Jahr durch Geburtenrückgang, höhere Sterberate und Auswanderung bis zu 35.000 Einwohner, das entspricht der Stadt Feldkirch in Österreich. Die Zwei-Millionen-Marke soll Belgrad jedenfalls frühestens im Jahre 2021 erreichen.

Kreative QuartiereDas BIGZ als relevanter Akteur

Mit ihrem kulturellen Reichtum, ihrer historischen Bedeutung und ihren kreativen und gut ausgebildeten BewohnerInnen gelten die Städte Europas zu Recht als Hoffnungsträger im globalen Wettbewerb. Es ist das Gebot der Stunde, sich auf diese ureigenen Stärken zu berufen, ihren Stellenwert zu fördern und Allianzen zu schmieden, um ihre Kultivierung mit empathischer Kraft und intellektuellem Pioniergeist voranzutreiben. Es gilt, ein neues Bewusstsein zu schaffen: Sowohl für die Ingeniosität, die mit Kulturleistungen einhergeht, als auch für die Notwendigkeit, den Faktor Arbeit und seine räumlichen Bedürfnisse neu zu deuten.

Vorhaltigkeit anstatt NachhaltigkeitDas BIGZ als Leuchtturm

Maschinen können Prozesse optimieren, Kapazitäten steigern. Doch Kreativleistungen können sie – zumindest im Moment – noch nicht erbringen. Nicht zuletzt deshalb ist die menschliche Kreativität ein steigender Wert, in der Positionierung von Städten aber auch im Kräftemessen der Kontinente, krisenfest und zukunftstauglich. Bescheidenheit im Geiste ist nicht angebracht, intellektuell unter unseren Verhältnissen zu leben bedeutet Stillstand und der ist Rückschritt. Wir brauchen aber Schritte nach vorne, so wie wir Vorbilder und keine Nachbilder brauchen und Vorhaltigkeit anstatt Nachhaltigkeit. Wir müssen also unsere Vorstellungen auf Vordermann und Vorderfrau bringen.

Glück aufDas BIGZ als urbane Mine Belgrads

Welchen Fortschritt wir wollen muss jedoch verhandelt werden. Wie die Kumpel aus den Minen ist es unsere Aufgabe, nach Bodenschätzen zu suchen und diese zu bergen. Gesellschaftliche Grundstoffe, die für eine stetige Genese der Gesellschaft unerlässlich sind. Schätze, die als Erkenntnisse, Utopien oder Innovationen gehandelt werden und nicht fossil sind. Werte, die durch Kunst, Kultur, Forschung oder Bildung entstehen und sich durch Förderung vermehren anstatt sich durch Abbau verringern.

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